Reken – 1900 bis 1945
Mit diesem Thema befasste sich jetzt der Rekener Heimatverein bei seinem ersten Proaloawend dieses Jahres im Heimathaus Uphave. Es ist der Titel des vom ehemaligen Geschichtslehrer Ulrich Hengemühle (Bild, stehend mit Mikrofon) geschriebenen und vom Heimatverein Reken herausgegebenen Buches, das noch den Untertitel trägt: „Rekonstruktion von schweren Zeiten im Zusammenleben der Dorfbewohner nach bisher unveröffentlichten Quellen“.
Vereinsvorsitzender Bernd Hensel konnte eine Besucherschar begrüßen, die das Heimathaus Uphave kaum fassen konnte. Die Beine hingen sprichwörtlich aus der Eingangstür des Uphave-Kottens heraus. Nach der Begrüßung und einem einem heimatlichen Imbiss übernahm Ulrich Hengemühle das Zepter. Hengemühle hatte in seinem Buch zunächst die Grundüberzeugungen mit dem sozialkulturellen Hintergrund um 1900 untersucht, die es auch in Reken gab. Zweifellos spielten auch in Reken die eingeübten autoritären Strukturen des Kaiserreichs und der katholischen Kirche ein große Rolle. Zwar vertrug sich die katholische Glaubenslehre nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie, aber in der Bekämpfung des von Russland ausgehenden Bolschewismus fand man damals auch hier einen gemeinsamen Nenner.
Ulrich Hengemühle konnte den anwesenden Proaloawendbesuchern auch sagen, dass es unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg in Reken – wie überall in Deutschland – Arbeiter- und Soldatenräte gegeben hat. Das zarte Pflänzchen des dann folgenden Aufbaus einer Demokratie in der Weimarer Republik wurde durch die Inflation, der Kriegsschuldfrage, durch Militarismus und letztlich auch durch eine hohe Arbeitslosigkeit all zu schnell zertrampelt. Keimzelle des nationalsozialistischen Gedankenguts in Reken war der Ortsteil Klein Reken. Auch der damalige Amtsbürgermeister Franz Bösing stammte aus Klein Reken. Mit den Biographien von Franz Bösing als Bürgermeister und Verwaltungschef in der NS-Zeit und des Lehrers Sauer aus Hülsten hatte der Buchautor Hengemühle in öffentlich zugänglichen Archiven zwei Personen des öffentlichen Lebens herausgesucht, die mithalfen, den Nährboden für das nationalsozialistische Gedankengut auch hier in Reken aufzubereiten.
Die Zeit der Judenverfolgung nahm im Vortrag von Ulrich Hengemühle ebenfalls einen breiten Raum ein. Ein erstes deutliches Anzeichen der „Ausrottung jüdischer Mitbürger“ gab es in Reken bereits Mitte 1933: Die Kameraden Silberschmidt und Levinstein mussten wegen jüdischer Rassenzugehörigkeit auf höhere Anweisung aus der Groß Rekener Feuerwehr ausscheiden. Salomon Silberschmidt war 1908 übrigens Mitbegründer der Groß Rekener Feuerwehr gewesen. Daraufhin schieden acht weitere, namentlich bekannte Rekener aus Protest und Solidarität mit den jüdischen Kameraden ebenfalls aus der Wehr aus. Für damalige Verhältnisse war das eine mutige und nicht ungefährliche Entscheidung.
Die anwesenden Besucher begrüßten in der sich nach dem Vortrag von Ulrich Hengemühle anschließenden Diskussion insbesondere die Tatsache, dass der Proaloawend am Montagabend mit dem 75. Jahrestag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zusammenfiel. Alle Anwesenden waren der Meinung, dass sich diese scheußlichen und menschenverachtenden Verbrechen nie wiederholen dürften. Vereinsvorsitzender Bernd Hensel konnte berichten, dass das nunmehr schon nach kurzer Zeit in der 2. Auflage gedruckte Buch von Ulrich Hengemühle in allen Ortsteilen eine breite und überaus positive Resonanz gefunden und zu ungeahnten Diskussionen gegen rechtsextremistisches Denken geführt hat.
Mit einem Schlusssatz von Rita Süssmuth, der ehemaligen Bundestagspräsidentin, beendete unter viel Beifall Ulrich Hengemühle seine Buchvorstellung: „Die Achtsam-keit gegenüber dem Anderen muss die Urbotschaft politischen Wertens bleiben. Dazu gehört auch, das wir reden, wechselseitig von uns erzählen lernen und uns gegenseitig zuhören.“